Meine Linsenfamilie und andere Teile*

Ein Bericht über die Exkursion zur Firma Optotune AG

Autor: Jorge Sanchez

*Angelehnt an den Romantitel von Gerald Durrell

Als ich anfangs Oktober eine E-Mail von unserer engagierten External Muriel bekam, war ich natürlich erfreut, dass es mal wieder eine Exkursion in eine spannende Firma geben würde. Schweren Herzens entschied ich mich, eine mehr oder weniger wichtige Keramikvorlesung sausen zu lassen und mich dafür für die Exkursion anzumelden, in der Hoffnung, dass ich noch einen freien Platz ergattern kann. Obwohl Optotune schon vom Namen her wie eine ganz innovative Sache tönt, wurden tatsächlich nicht alle Plätze vergeben. Ich kann euch aber sagen, wieso sich diese Exkursion trotzdem gelohnt hätte.

Nicht ganz ausgeschlafen und noch mit einigen Frühstücksresten im Mundwinkel trafen sich die Truppe der Materialwissenschaftler, sowie die Mitstudierenden vom Verein Chemie VCS beim Hauptgruppentreffpunkt im Bahnhof mit dem farbigen Engel, welchen jeder Pendler kennen sollte. Dann mussten wir gegen Menschenströme zu Stosszeiten kämpfend zum richtigen Gleis gelangen, um in die S3 Richtung Dietikon einzusteigen. Manch einer hätte den Umstieg in die nächste S-Bahn Richtung Wohlen nicht erwischt, wenn uns Marc nicht darauf aufmerksam gemacht hätte, dass es auch ein Gleis 11 neben Gleis 1 beim Dietikoner Bahnhof gibt. (Ist doch logisch!)  Und so machten wir uns auf den Weg nach Reppischhof (Rep-was? fragten einige), die letzte Station im Kanton Zürich, denn der Aargau soll laut Google-Maps keine 100 Meter weiter westlich liegen.

Bei der Station Reppischhof angekommen, begaben wir uns zum Hauptsitz der Optotune gleich gegenüber, nachdem sich Muriel davon überzeugt hatte, dass keine Mitstudierenden verloren gegangen waren. Empfangen wurden wir von Dominique und Patricia, vom HR-Bereich, nur um dann festzustellen, dass die Optotune keine so pünktlichen Studis erwartet hatte. Dadurch mussten wir im Meeting-Raum (auch Sky Room genannt) verharren, wodurch wir einige Minuten zum gegenseitigen Austausch und Fachsimpeln hatten.

Doch das Warten lohnte sich, denn als Herr Dr. Manuel Aschwanden, CEO der Optotune, um Punkt neun den Raum betrat, zog er von Anfang an seine Zuhörerschaft in seinen Bann. Er begeisterte und amüsierte mit interessanten Fakten zur Optotune und Anekdoten wie dieser: Er habe wirklich nicht erwartet, dass die Studis so überpünktlich kommen würden (allgemeines Grinsen). Dr. Aschwanden hat an der ETH einen Master in Elektrotechnik absolviert und mit einem PhD in Nanotechnologie abgeschlossen. Dann hat er Optotune mitbegründet, wo er seit 2008 als CEO amtiert. Interessanterweise hat sich aus einem kleinen ETH-Spin-off eines der grössten Spieler im Bereich der elektronischen Optik gebildet. Die Story von Optotune ist eine Erfolgsgeschichte: von der ETH zu einer Kollaboration mit der EMPA, über Gewinner des Venture Wettbewerbs sowie des Swiss Economy Awards 2014. Nur vier Jahre hat es gedauert, bis die Firma die ersten Kunden im Markt hatte, ein vergleichsweise kurzer Zeitraum für ein Startup. Was am Anfang noch wie ein interessantes Laborexperiment klang, und es auch war, hatte sich dann zum Kerngeschäft der Optotune entwickelt: Elektrisch aktive Polymere, die Linsen mittels elektromagnetischer Impulse gezielt steuern können.

Aschwanden erklärte pointiert, dass Optotune eine Firma der optischen Innovation sei. Die Firma verbinde Elektronik und Optik mit viel Knowhow zur Optoelektronik; Produkte, die als wichtige Komponenten von elektronisch gesteuerten optischen Maschinen und Systemen fungieren. Ihre Kernsparten sind die «Focus tunable lenses», Linsen, die durch elektromagnetische Impulse ihre Form verändern können sowie «Electroactive polymers». Genau genommen haben sie vier Marktreife Produktlinien: «Focus tunable lenses», «Laser speckle reducers», «Extended pixel resolution actuators» und «Beam steering mirrors». Sollte dem Leser das noch zu kryptisch vorkommen, so muss er sich noch ein wenig gedulden; eine genaue Beschreibung dieser Bauteile folgte im weiteren Verlauf der Exkursion.

Etwas verdutzt von so vielen Schlagwörtern sassen die Studis im Raum, als der CEO die zweite Anekdote vom Tag fallen liess: Eine medizinische Firma habe sie beauftragt, eine Linse herzustellen die ultraschnell fokussieren kann. Der Grund: Sie wollen ein Laser-Mücken-Abwehr-System entwickeln.1 Ich schwöre euch, dies ist schon immer mein Kindheitstraum gewesen, schliesslich lebe ich im Sommerhaus in Südwestspanien neben einem Golfplatz, welcher im Sommer die gleichen Eigenschaften eines afrikanischen Sumpfes besitzt.

1: Wem das zu unrealistisch vorkommt: Die US Air Force hat noch bis 2012 den Boeing «YAL-1 Airborne Laser» in Betrieb gehalten; ein fliegendes Laser-Energiewaffensystem zur Abwehr anfliegender feindlicher Raketen. Man ersetze in unserem Fall den Boeing 747-400F als Waffenträger durch eine kleine Drohne und die Rakete durch eine Stechmücke Anopheles (oder Malariamücke) als Zielsujet. Dann lasse man die Drohne in beliebigen Sumpfgegenden in Mittelafrika fliegen und automatisch Mücken abschiessen.

Der CEO hat zugegeben, dass die meisten Optotune-Produkte nie direkt den Endkonsumenten erreichen, sondern als Komponenten anderer grösserer Systeme wie Projektoren und Laserstrahler eingesetzt werden. Nichtsdestotrotz ist die Technik relativ beeindruckend.

Im Anschluss zur Präsentation wurden wir zu anderen Räumlichkeiten der Optotune geführt, wo wir die sogenannten «Kunstwerte» bestaunen durften. Diese Kunstwerke sind die bildliche Darstellung der Firmenwerte als Wort und wurden in einem Workshop von den Führungskräften selbst kreiert. Ich muss zugeben, die Studis hatten keine Kunstwerke in einer Firma, die Linsen und Aktuatoren herstellt, erwartet.

Im Optocafé wurden uns die Produkte mit mehr Detail vorgestellt: Die elektroaktiven Linsen, eine Kamera mit eingebauten elektroaktiven Linsen, ein ultra-schneller 2D Strahlenspiegel und den «Extended resolution pixel actuator», welchen ich ab jetzt zur Vereinfachung als «das Fenster» bezeichnen werde.

Die elektroaktiven Linsen: Herkömmliche Optiken basieren auf massiven Glas- oder Kunststofflinsen, die zum Fokussieren oder Zoomen hin und her bewegt werden. Ein sehr altes, aber erfolgreiches System ist jedoch völlig anders: das Auge! Es besteht aus einem elastischen Linsenmaterial, das zur Fokussierung gebogen wird. Optotune hat eine Reihe von Linsen entwickelt und patentieren lassen, die das Prinzip des Auges kopieren. Dabei wird ein elektroaktives Polymer2 mittels elektrischer Spannung an eine Membran gedrückt, sodass sich dabei die Linsenform verändert.

2: Der Redaktor würde gern hier die genaue materialwissenschaftliche Zusammensetzung des elektroaktiven Polymers innerhalb der Linse erklären. Da er jedoch weiter am Leben bleiben möchte, muss er widerwillig darauf verzichten, denn dies ist ein striktes Firmengeheimnis.

Der 2D-Strahlenspiegel: Offiziell heisst das Ding «Dual axis voice coil mirror with position feedback». Die Optotune vermarktet ihre Produkte offiziell nur auf Englisch, deshalb bleibt die Übersetzung als Übung für den Lesenden offen. Es handelt sich hierbei um einen durch eine elektrische Spule betriebener Strahlenspiegel, welcher sich blitzschnell um die x- und y-Achse drehen kann. Laut Optotune braucht es 1.4 Millisekunden um den Spiegel um 0.1° zu kippen und nur 7.5 Millisekunden um den Spiegel um 20° zu kippen.3 Das entspricht etwas ziemlich Schnellem, nämlich der Verschlusszeit einer Fotokamera bei Einstellung 125 (1/125 Sekunde).

3 Information aus der Optotune Website: https://www.optotune.com/images/products/Optotune%20one-pager%202D%20mirror.pdf

Um 10 Uhr wurden wir erneut in den Sky Room geführt. Dort erwarteten uns Stephan und Marcel, welche uns die Produkte seitens der Firmenkunden mit einem tiefen technischen Einblick präsentierten. Hier wurde «das Fenster», sprich der hochmoderne «Extended Pixel Resolution Actuator XPR®-25» genauer erklärt. Dieses Bauteil ist in der Lage, die Projektionsrichtung von einem Lichtstrahl blitzschnell hin- und her zu verschieben. Die Technik von «dem Fenster» wird in der High-End Projektionstechnik angewendet und ist auch als Pixelverschiebung bekannt.

Das Prinzip der Pixelverschiebung ist – oh Wunder – wie das Kippen eines Glasfensters: Der XPR®-25 kippt ein winziges Glasfenster um zwei Achsen, um vier verschiedene Positionen zu erreichen. Als Ergebnis wird jeder Pixel an vier Stellen projiziert. Dadurch wird das Bild sozusagen vervierfacht, wenn das immer wieder wiederholt wird. Der eine oder andere Tech-Nerd wird schon festgestellt haben, dass sich hiermit ein HD aufgelöster Projektor in einem 4K Projektor transformieren lässt.

Während Stephan und Marcel über die technischen Details ihrer Produkte schwärmten, wurden verschiedene autofokussierbare Miniaturlinsen im Raum verteilt, damit die Studis sich diese anschauen konnten. Für die bildliche Vorstellung mag das helfen, jedoch waren diese Teile kaum grösser als ein Fingernagel. Da hat man mit blossem Auge nicht viel gesehen. Sämtliche Linsen und Aktuatoren durften leider nicht eingesteckt werden, da sie vertrauliche Information beinhalten (alles ist geistiges Eigentum der Optotune, d.h. patentiert) und sind somit in Besitz der Optotune geblieben. Somit musste auch der Traum vom selbst aufgemotzten Heimkino-Projektor mit einem «Fenster» leider aufgegeben werden.

Das allerbeste Teil dieser Präsentation war jedoch ein Mobiltelefon mit getunter Kamera. Dieses Smartphone wurde eigens für Demonstrationszwecke auseinandergenommen und das Kameramodul durch ein eigenes System ersetzt, womit aus einem Smartphone mit einer mediokren Kamera ein hochmodernes miniaturisiertes Makro-Objektiv samt Kamera kreiert wurde. Ich habe im Leben kein Smartphone gesehen, das so gestochen scharfe Makrofotos aufnehmen kann. Egal was man vor den Sensor hielt, betrug der Vergrösserungsfaktor mindestens 1:1.  Das war ziemlich beeindruckend! Nimmt man das elektronische Zoom der Kamera hinzu, dann kann man gewisse Objekte zwanzigfach vergrössern, sei es ein langweiliger Fingernagel oder die Sicherheitsmerkmale einer Schweizer Banknote.

Während wir noch am Ausprobieren des Makrogeräts waren und tatsächlich den Berufseinstieg als Banknotenfälscher in Betracht zogen, falls einen das Studium doch nicht so weit bringt, wurden wir erneut in eine andere Abteilung der Optotune geführt. Diesmal ging es in das Research & Development Lab drei Stockwerke tiefer. Dort wurde uns die eigentliche Makerspace der Firma gezeigt. Alles was zusammengebaut, geschraubt oder geklebt werden muss, wird hier angefertigt. Es wurde ziemlich schnell klar, dass Feinfühligkeit, Bastelgeschick und Maschinenverständnis in dieser Firma einen grossen Mehrwert besitzen. Es ging dann weiter zum optischen Labor. Hier werden alle Systeme die irgendetwas mit Optik, Strahlen, Laser, fokussierenden Linsen, usw. gemeinsam haben, getestet. Beispielsweise eine Laser-Linse, die Paketsortiermaschinen ziemlich effizient macht.

Als wir zum dritten Mal in den Sky Room geführt wurden, erwartete uns dort ein schmackhafter Apéro. Die Truppe war schon hungrig vom Hin- und Herlaufen durch die Räumlichkeiten der Optotune, sodass sich innerhalb kürzester Zeit ein Gleichgewicht zwischen Leuten, die zum Tisch gingen um nach mehr Essen zu greifen, und Leuten, die schon etwas zu futtern hatten einstellte. Die Studis hatten die einzigartige Gelegenheit, mit frisch eingestiegenen Mitarbeitern und Praktikanten in Kontakt zu treten, was in der Business-Welt als Networking bekannt ist. Silvan und Valentina erzählten beispielsweise, wie ihr Einstieg in die Optotune war; Sie selbst konnten noch nicht glauben wie schnell sie sich vom Newbie zum selbständigen Junior Engineer entwickelt hatten.

Nach diesem interessanten Austausch mit Praktikanten und Junior Engineers wurden wir von Patricia der Konversation entrissen. Wir hätten noch 15 Minuten Zeit, um die letzten Knabberartikel zu essen, ein Gruppenfoto zu machen und die S-Bahn zurück Richtung Dietikon zu nehmen. Das Gruppenfoto samt Optotune-Logo wurde im Sky Room aufgenommen: Anstatt das klassische «Money» wurde dann «Optotuneeeeey» gerufen, was in diesem Kontext die bessere Variante war. Es wurde noch einmal kurz mit allen Organisatoren die Hände geschüttelt, dann wurde der Job-Newsletter per E-Mail bestellt und schon marschierten wir zur Station Reppischhof, wo wir uns mit heiteren Gesprächen auf den Heimweg machten. So kam es, dass die Exkursion mal wieder viel zu schnell vorbei war.

Mein persönliches Fazit: Manchmal lohnt es sich gewaltig, noch vor der Sonne aufzustehen. Jede Exkursion pumpt einem mit so viel neuer Energie, sei es beim Sprechen mit früheren Studierenden oder Mitarbeitern, oder beim Networking mit dem CEO und dem Bestaunen von innovativen Materialanwendungen. Dies versichert einem immer wieder, dass man das Richtige studiert. Denn wie Valentina, eine Praktikantin, weise gemeint hat: Sie sei halt leider nur eine halbblütige Materialwissenschaftlerin (sie hat eigentlich Chemieingenieurwesen mit Spezialisierung auf Materialien gemacht), aber wenn der materialwissenschaftliche Teil von eurem Herz es diktiert, dann kann eure Anwendung eventuell die Welt verändern.

Zum Schluss möchte ich noch µ für die lupenreine Organisation danken!